Giulia's thoughts on language policies

Gehst du wieder lindnern?

„Lindnern“ war Teil der Liste der Jugendwörter des vergangenen Jahres. Ich finde die meisten Wörter die gewählt werden ganz schön erfinderisch und kreativ. Manche halten gar nichts von Jugendsprache und der jährlichen Wahl des Jugendworts. Sie würden es wahrscheinlich als schlechte Sprache beschreiben.

Aber was ist schlechte Sprache? Darauf gibt es vielleicht mehr Antworten als einem direkt einfallen. Es muss nicht nur ein Wort sein sondern kann sich auch auf die Aussprache eines Wortes beziehen, wie man es schreibt, das Wort selber, oder auch einen ganzen Dialekt. Damit wird das Definitionsspektrum ganz schön erweitert. Schimpfwörter zum Beispiel versucht man Kindern abzulernen, sodass sie sich besser in der Gesellschaft integrieren können und sich auch in verschiedenen Gesellschaftskreisen zu Recht finden. Dann gibt es die politisch korrekte Sprache, also eine Sprache die politisch akzeptabel ist. Das bedeutet Wörter mit implizierten negativen Konnotationen zu Gruppen in der Bevölkerung zu vermeiden um diese nicht zu stigmatisieren. Das bezog sich die letzten Jahrzehnte auf Afro-Amerikaner, Frauen und LGBTs. Ferner gibt es auch die sogenannten Sprachpuristen, für die jegliche Sprache die nicht der Norm entspricht, schmutzig und fehlerhaft ist. Veränderungen und Neuerungen der Sprache sind deswegen nicht akzeptabel. Oft ist diese Gesinnung mit Nationalgefühl verbunden und gleichermaßen werden ausländische Einflüsse auf Musik, Literatur und Architektur verabscheut. Was die Sprachpuristen wohl zur deutschen Jugendsprache und den jährlichen Jugendwörtern des Jahres sagen würden? Ich finde es schwierig eine Definition von schlechter Sprache zu finden. Am ehesten würde ich wohl der Schimpfwortdefinition zustimmen. Ich finde, dass Sprache sich verändert, genau wie die Gesellschaft von der sie benutzt wird. Das hat sie schon seit Jahrhunderten getan, bis sie geordnet und standardisiert aufgeschrieben wurde und für ein Land eine Sprache festgelegt wurde (in manchen Fällen mehrere Sprachen). Spolsky erklärt es folgenderweise:

We acquire these language practices in constant ‘constructive interaction’ with our social environment, both human and natural, so that changes in language variables (and so in language) are most likely to be associated with non-linguistic variables.

Spolsky, 2004

Er sagt also, dass unsere Sprache ein Ergebnis von konstanten Wechselwirkungen mit unserer Umgebung ist, und dass Veränderungen der Sprache meistens Gründe nicht direkt sprachlicher Art haben. Diese Veränderungen zu stoppen mit sogenanntem „Sprachmanagement“ scheint mir unsinnig und würde die Sprache sehr künstlich machen. Was man will ist eine Sprache die lebt, oder nicht?

Die soziale Funktion von Sprache

Wenn Sprache so sehr von unserem sozialen Umfeld beeinflusst ist, was ist dann ihre eigentliche Funktion? Sie hat vor allem eine soziale Funktion laut Trudgill. Sie gibt zum Beispiel Anzeichen zum sozio-ökonomischen Status und der Herkunft der Person über einen bestimmten Dialekt der gesprochen wird, oder einem Klassendialekt. Dies ist vor allem verbreitet im Englischen. Ich habe den Eindruck dass es etwas weniger der Fall im Deutschen ist. Ich finde, in der deutschen Sprache kommt es vor allem darauf an wie man sich ausdrückt, zum Beispiel was für Wörter man benutzt um einen Klassendialekt zu erkennen. Der regionale Faktor ist dagegen auch im Deutschen weit verbreitet. Viele Dialekte lassen sich sofort erkennen. So zum Beispiel das Schwäbische. Wer mal reinhören möchte kann sich den Trailer des Films und der Serie „Die Kirche bleibt im Dorf“ anschauen. Typisch schwäbisch würde ich sagen!
Natürlich variiert die Sprache auch je nachdem mit wem man spricht – im Vorstellungsgespräch spreche ich anders als mit meiner Schwester am Telefon. Mit diesen Beispielen lässt sich vor allem die identitätsstiftende Wirkung von Sprache erkennen. Sie gibt einem ein Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten Gruppen. Wie das Schwäbische so auch die schon vorhin erwähnte Jugendsprache. Um ehrlich zu sein, habe ich die meisten Wörter die zu Jugendwörtern gekürt wurden in meiner Jugend nicht wirklich benutzt. Die Nutzung der Jugendsprache hängt auch hier vor allem von den Altersstufen und Kommunikationsbedingungen ab. Das Erfinderreichtum finde ich dennoch jedes Jahr beeindruckend, und manchmal treffen manche Wörter eine Situation so perfekt, dass ich nicht wüsste wie ich sie besser erklären könnte. Jedes Jahr wählt der Langenscheidt-Verlag ein Jugendwort des Jahres. In den folgenden Beispielen sieht man auch wieder, wie Sprache vom Umfeld beeinflusst werden kann. Zum Beispiel kommen immer mehr Anglizismen in Gebrauch (AF), es gibt Einfluss von anderen Fachsprachen (verbuggt) oder sogar politische Geschehnisse (lindnern) geben neue Worterfindungen her.

Ich finde, dass diese Veränderungen der Sprache, die ihr eine gewisse Dynamik geben, nicht unterdrückt werden sollten. Eine gewisse Lese-und Schreibfähigkeit in der deutschen Lingua Franca – Hochdeutsch – sollte natürlich gegeben sein, aber es lohnt nicht strikt jedem vorzuschreiben wie man im Alltag sprechen muss. Eine Sprache sollte mit den gesellschaftlichen Entwicklungen Schritt halten und sie nicht entfremden. Eine für immer festgeschriebene Schreibweise und ein Wortschatz der Sprache können zwar festgehalten werden in Wörterbüchern, aber müssen aktualisiert werden. Dies ist in Deutschland meistens der Fall. Auch sind Rechtschreibreformen notwendig, um neue Schreibweisen und Wörter in den offiziellen Wortschatz aufzunehmen. Ich finde die Wahl des Jugendwortes ein tolles Beispiel dafür, wie Veränderungen der Sprache akzeptabel für alle Gesellschafts- und Altersschichten in einer Bevölkerung gemacht werden können.

Für alle, die den Kontext zu ‘lindnern’ nicht verstehen: Nach der Bundestagswahl 2017 brach Christian Lindner die Koalitionsverhandlungen von CDU, CSU und FDP ab, mit der Begründung: “Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.” Viele Wähler waren davon enttäuscht.

Literaturangabe

Spolsky, B. (2004). Language policy (Key topics in sociolinguistics). Cambridge: Cambridge University Press. (2004).

Trudgill, P. (2000). Sociolinguistics : An introduction to language and society (4th ed.). London: Penguin.

1 Comment

  1. magnus

    Sehr cooler post! Obwohl ich persönlich die Jugendwörter meist eher seltsam finde, ist es eine Interessante Sichtweise darauf 🙂

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